"Der junge Lord ist sehr beschäftigt, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.. er hat mir auch nur Bescheid geben lassen.", erklärte sie ihr geduldig (und auch nicht). "..jetzt isst du erst einmal was.. nachdem du dich eingerichtet hast." Sie führte das Mädchen durch die vertrauten Gänge, aber in andere Winkel: Die Zimmer der Hofdamen lagen im Ostflügel.
"Mein Zimmer liegt nicht..näher bei ihm?" fragte sie und fürchtete, dass sie dabei rot wurde. War das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen? "Wann..wird er denn Zeit haben? Er..." sie reichte ihr die Einladung mit seiner Handschrift. "Er wollte mit mir reden."
"Natürlich nicht!" Skeptisch beäugte sie den Brief.. nickte dann aber leicht. "Recht hast du." Es schien ihr nicht zu gefallen, das sagen zu müssen. "..Du wirst dann wohl schon was hören.", meinte sie hart. "Das ist dein Zimmer." Sie öffnete die Tür. Der Raum war klein, aber schön: weiche Stoffe, warme Farben.
"Sie können lesen?" wirklich erstaunt war Lily nicht, aber trotzdem faszinierte es sie. "Werde ich..das auch lernen müssen als Hofdame?" ihre Augen fingen an zu glitzern. Lesen und schreiben waren so faszinierend! Luke hatte ihr ein bisschen was bei gebracht, aber wirklich konnte sie es noch nicht. Als sie das Zimmer betrat musste Lily lächeln. Schön war es.. und ganz für sie alleine. Sie hatte noch nie ein zimmer alleine gehabt.
"Ganz recht. Und du wirst es lernen. Eine Hofdame ist gebildet; sie legt nicht nur Wert auf Äußeres, sondern tut auch etwas für ihre Kultur." Sie beobachtete das Mädchen. "Gefällt es dir?"
Ganz ganau sah sie sich in dem Raum um. "Ist der wirklich ganz alleine für mich?" Der Diener brachte ihre Sachen, viel war es nicht. Etwas verloren standen die Sachen in dem Raum. "Es ist sehr schön, ja.. und lesen lernen... ich glaube langsam kann ich mich mit dieser Hofdamensache anfreunden.." Sie ließ sich aufs Bett fallen und kicherte, als sie den seidigen Stoff zwischen den Fingern fühlte.
"Ist er, ja..aber freu dich nicht zu früh. Auch wenn es dir nicht so scheint.. auch wir haben Pflichten. Wir organisieren die Feste und kümmern uns um die Armen der Stadt. Außerdem übernimmt jede eine kleine Aufgabe..ich zum Beispiel sorge dafür, dass die Bibliothek ordentlich und gut bestückt bleibt.. andere achten auf die Pferde.. du könntest zum Beispiel auf die Rosen schauen..wenn du davon etwas verstehst." Sie hob fragend eine Braue.
"Rosen?" Lily setzte sich wieder auf und grinste schmutzig. "Meine Liebe, ich denke die Dinge von denen ich etwas verstehe sind hier am Hofe zwar sehr gefragt, aber mich darum zu kümmern hab ich wenig Lust. Vielleicht könnte ich ihnen beibringen, wie man einen Mann um den Verstand bring." Lily grinste. "Sicher ein Unterricht, den viele der Damen am Hofe dringend bräuchten. Wären sie in diesen Dingen besser bräuchten ihre künftigen Ehemänner keine Huren mehr." Sie war hin und her gerissen. Ja, sie brauchte Miss Wigston wohl, aber es juckte sie auch in den Fingern sie zu provozieren.
Die Frau aber ließ sich nicht provozieren. Sie hatte schon ganz andere Weibsbilder vor sich gehabt. "Für deine 17 Jahre.. womit du ja streng genommen noch ein Kind bist, meine Liebe..hast du ein ganz schön loses Mundwerk. Ich weiß nicht, ob du ein Essen in unserem Kreise verdient hast heute Abend. Du wirst mit den Mägden essen. Und morgen früh meldest du dich bei mir. Der Diener wird dir schon sagen, wann und wo." Unbeeindruckt ließ sie Lilly allein zurück. Sowas ließ sie sich nicht gefallen!
Was für ein Miststück! Naja, genau genommen aß sie sowieso lieber mit den Mägden, von denen konnte sie vielleicht mehr zu Andrews momentanen Gemütszustand erfahren. denn es juckte sie in den Fingern zu wissen, was er wohl dachte. Aber wie sie Andrew kannte war er anderen gegenüber verschlossen wie eh und je. Nach einigem Grübeln beschloss Lily nicht zu ihm zu rennen. Wenn er sie sehen wollte, dann sollte er sie rufen lassen. Mit dem schönen Kleid suchte sie sich ihren Weg in die Küche, wo die Mägde ihr Essen zu sich nahmen. "Hallo.." grüßte sie unsicher. "Miss Wigston hat mich dazu verdammt hier zu essen. Darf ich mich setzen?"
"Verdammt, ja?" Eine der Mägde deutete auf den freien Platz neben sich. "Komm zu uns. Die alte ist ein Biest. Aber sag es ihr nicht." "Dich kennen wir doch!" "Lilly, richtig?" "Wo warst du?" "Ich hab gehört, sie war in London!" "Stimmt das?" "Hast du den Palace gesehen? Die Queen?" Lilly hatte viel zu erzählen unten in der Küche. Dafür bekam sie aber gutes und viel Essen.
Lily war sich sehr sicher, dass sie das alte Biest öfter verärgern sollte. Hier war es viel lustiger als bei den Hofdamen, da war sie sich sicher. Sie erzählte von London, vom Palace, aber auch von den Kneipen im Hafen. Und schließlich, als sie genug erzählt hatte begann sie zu fragen. "Und wie war es hier? Hat Cambridge sich verändert? ... Wie geht es den Lordschaften so? Ist Lord Andrew noch immer unverheiratet? Oder gibt es eine Frau an seiner Seite?"
"Der junge Lord und verheiratet?" Die Mädchen kicherten, bis die Köchin sie zur Ordnung rufen musste. "Niemals! Der doch nicht!" "Ich glaube fast, er will keine Frauen.." "Was willst du damit sagen, Sarah? Dass er Männer bevorzugt?" "Unsinn..aber wer weiß.. vielleicht hat er ja ein gebrochenes Herz?" "Oh! Eine verbotene LIebe?!" "WIe romantisch!" Alle waren ganz außer dem Häuschen. Die Alte aus der Küche aber meinte sanft, aber ernst: "Lord Andrew ist von einem anderen Holz als sein Vater. Er ist ein guter Herr. Aber verscherzen solltest du es dir nicht mit ihm, Kind." Die anderen nickten. "Und Camebridge ist wie immer!" "Nur die Steuern werden höher!"
Eine verbotene Liebe... Lily musste ein seufzen unterdrücken. Wenn es doch so wäre.. aber das war verrückt.. Liebe.. unmöglich! Aber so erfuhr sie wenigstens ein bisschen mehr über Andrew. Das Personal war wie immer sehr gesprächig. "Bei euch ess ich öfter. Das macht sicher mehr Spaß als bei den Hofdamen." verabschiedete sich Lily schließlich gut gelaunt und mit vollem Bauch. Jetzt hieß es ihr Zimmer wieder zu finden.. keine ganz leichte Aufgabe.
Zur gleichen Zeit lief ein junger Mann durch die Gänge des Anwesens; nicht nur irgendeiner, sondern der Lord persönlich. Andrew war müde..er wusste nicht, dass Lilly schon da war.. er hatte auch nicht an sie gedacht, heute..ausnahmsweise..nein; er hatte viel zu tun. Und wollte nur noch in sein Bett. Und schon dachte er doch an sie: Ob sie wohl kommen würde? Wer wusste das schon.. Was sie wohl von seiner Lösung hielt? Eine andere gab es nicht.. Er war so in Gedanken, dass er nicht bemerkte, dass er nicht allein war.. und lief direkt in seine Lilly rein. "Knnst du denn nicht aufpassen?!"