Wieso nur überraschte es ihn nicht? Ja; er hatte es wohl geahnt. Luke schluckte ziemlich hart. Er wendete den Blick von ihr ab; sah die Straße entlang. Eine ganze Weile lang lag Schweigen zwischen ihnen.. dann fragte er leise: "Er ist wieder hier, was?" Seine Stimme klang ungewöhnlich rau.
Sie schwieg eine Weile, fühlte sich ertappt. Schließlich nickte sie leicht. "Ja... Andrew.. der junge Lord.. er ist gerade in London. Vielleicht kann er mir helfen zurück zu kommen." Nervös zupfte sie am Stoff ihres Kleides herum. "Aber wir haben nicht...also letzte Nacht.." sie biss sich auf die Lippe. Was für ein blöder Satz. Und trotzdem wollte sie, dass Luke wusste, dass sie nicht mit ihm geschlafen hatte.
Luke schloss kurz die Augen, atmete tief durch. Es tat weh..ziemlich sogar. Aber weniger als gedacht. Es hatte sich ja angekündigt. Und eigentlich..eigentlich hatte er es ja schon immer gewusst. "..das ist deine Sache, Lilly." Denn sie waren kein Paar. Vielleicht waren sie es auch nie gewesen. "Aber es tut mir Leid.. dass ich nicht gut genug war." Letzteres kam nur sehr leise über seine Lippen.
Sie hätte nicht gedacht, dass es so schlimm sein würde. Fest biss sie sich auf die Unterlippe, denn jetzt zu weinen hätte sicher alles noch schlimmer gemacht. "Oh Luke du warst mehr als genug.. du warst viel zu gut für mich." ganz vorsichtig strich sie über seine Hand. "Ich hoffe du findest jemanden, der es auch wert ist. Du bist.." sie schüttelte den Kopf und begann von neuem. "Du hast einen Platz in meinem Herzen! Für immer.. nur.. nur eben nicht als mein Liebster, sondern als der Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte."
Luke zog die Hand weg. Es war nicht böse gemeint.. eher eine Sache des Selbstschutzes. "Lass gut sein. Ich komm schon klar." Er erhob sich, klopfte sich den Staub von dem Klamotten. "Ich wünsch dir auf jeden Fall alles Gute.. und..meld dich mal, wenn ihr.. nach London kommt."
Sie wollte ihm erklären, dass es kein ihr gab. wollte ihm erklären, dass sie eben eine Hure war und er ein Lord. Dass es nie ein ihr geben würde.. aber sie nickte nur stumm und ging zur Tür "Ich packe meine Sachen zusammen.. danke..für alles." flüsterte sie noch einmal leise, eh sie hineinverschwand.
Luke haderte mit sich selbst.. reingehen oder verschwinden? Er setzte sich wieder auf die Stufen. Wartete, bis sie ihr Hab und Gut aus der billigen Arbeiterwohnung geholt hatte. Was erwartete sie schon in Camebridge? Aber auch: Was hatte sie schon hier in London gehabt?
Sie wusste nicht einmal wohin sie jetzt sollte. Es hatte nicht gerade so geklungen als könnte sie bei Andrew bleiben.. zumal dieser zurück nach Cambridge musste, allein schon um ihr Überlegen zu sichern. Vielleicht hatte sie noch für einige tage genug Geld für eine Pension. Luke war zu ihrem Erstaunen noch da. Er saß dort, wo er auch zuvor gesessen hatte, starrte vor sich hin. "Ich denke.. ich hab alles." viel war es nicht mehr, das meiste war weg.. verkauft.
Sie zuckte leicht mit den Schultern. "Das Leben ist ein Abenteuer.. es wird sich schon ein Weg finden. Ich.. ich wollte es dir nur gleich sagen. Es ist wohl besser so." Dass es Andrews Idee gewesen war sagte sie ihm mal lieber nicht.
Er nickte leicht. Dafür musste er ihr wohl auch noch dankbar sein, hm? "Gut, dann.." Er wollte sie nicht zum Abschied umarmen. Auch nicht auf die Wange küssen. Er trat zurück.
"Dann... wenn du mal in Cambridge bist..." sie beendete den Satz nicht, es machte ja doch keinen Sinn. Als ob er sie jetzt wirklich wiedersehen wollte. Jetzt wo sie zu Andrew zurückging. Lily nickte nachdenklich und drehte sich dann um. "Ich..werd dich vermissen." meinte sie über die Schulter gewand noch, eh sie aufbrach ins UNgewisse
Er sagte: "Pass auf dich auf." Und meinte: "Ich liebe dich." Aber Luke sah ihr nicht nach; er ertrug den Anblick einfach nicht. Stattdessen setzte er sich in Bewegung und verschwand genau in die entgegengesetzte Richtung. Im Gehen (es waren lange, große Schritte) zündete er sich eine Zigarette an. Er rauchte sie in tiefen, hastigen Zügen.
Sie hatte wirklich eine Bleibe gefunden, wenn auch keine schöne. Lily schlief im Stall eines Gasthauses, dort war es zumindest warm, auch wenn sie nach Pferd und noch schlimmer nach dem Ziegenbock roch, der hier lebte. Wann Andrew wohl wieder in London war? Ob er wohl Erfolg gehabt hatte? War sein Einfluss so groß wie er dachte und sie hoffte? Konnte er den Diebeskönigen von Cambridge sagen, dass Hank sie nicht töten sollte, wenn sie ihm in die FInger fiel? Fragen über Fragen.. Das Hafenviertel mied sie und auch sonst alle Orte wo sie auf Luke treffen könnte. Nur von dem Palace trieb sie sich ab und an herum um zu hören, was es neues gab.
Lilly bekam zwei Wochen nach dem Treffen mit Andrew einen Brief. Es war eine Einladung nach Camebridge, auf das Anwesen des Lords. Es war ein Standardschreiben, dass die Schreiber vorschrieben, aber da war eine persönliche Randnotiz in Andrews schlichter, aber eleganter Handschrift: 'Ich habe alles geklärt. Wir müssen trotzdem reden. Da wartet eine Kutsche im Palace auf dich.'